Begutachtungen in den Bereichen der Unfallversicherung und des sozialen Entschädigungsrechtes befassen sich mit Fragestellungen, die auf die Beurteilung von Schädigungsfolgen zielen. Dabei kann die rechtliche Bewertung von Schädigungsfolgen je nach Rechtsbereich (Sozialrecht, Zivilrecht, Verwaltungsrecht) auf unterschiedlichen Prinzipien der Kausalität basieren. Kausalität bezeichnet die Art und Weise, in welcher Form dem Schadensereignis eine ursächliche Bedeutung für den danach aufgetretenen Schaden zugeschrieben wird.
Schwerpunkte psychologischer Begutachtung bilden hier die Analyse möglicher ursächlicher Bedingungen für einen nach einer Schädigung eingetretenen Gesundheitsschaden und die Beurteilung des Ausmaßes der Beeinträchtigungen, die auf diesen Schaden zurückzuführen sind.
Psychologische Sachverständige können wissenschaftlich fundierte Informationen zur (rechlichen) Klärung der Kausalität psychischer Störungen / Erkrankungen liefern. Dies betrifft sowohl belastungsreaktive psychische Störungen im engeren Sinne (Anpassungsstörung, posttraumatische Belastungsstörung), als auch psychische Störungen ohne primären Ereignisbezug.
Zur Beurteilung der Ätiologie ausschließlich körperlicher Schädigungen oder Erkrankungen sind psychologische Sachverständige nicht qualifiziert. Bei länger andauernden körperlichen Unfall- oder Schädigungsfolgen können sie aber dazu beitragen, die kausale Bedeutung des Anpassungsverhaltens und relevanter Umweltbedingungen auf Art und Schwere der Schädigungsfolgen zu beurteilen.
Sie können auch Vorschläge zur rechtlichen Bewertung der Qualität und Quantität von Unfall- oder Schädigungsfolgen machen.
Dabei erfordert die Bewertung der Folgen von Schädigungen auf die Teilhabe der Geschädigten am Erwerbsleben (Minderung der Erwerbsfähigkeit) oder am Leben in der Gemeinschaft (Grad der Schädigungsfolgen) grundsätzlich den Einbezug der notwendigen medizinischen Befunde.
Psychologische Sachverständige sollten bei Begutachtungen zu Fragen der Rehabilitationsbedürftigkeit, Rehabilitationsfähigkeit, des Rehabilitationserfolgs und der Erwerbsminderung folgende fachlichen Voraussetzungen mitbringen:
Sinnvoll können außerdem folgende Zusatzqualifikationen sein:
Die folgenden Fragestellungen, die mit Bezug auf psychologische Konzepte und unter Verwendung psychologischer Methoden beantwortet werden können, werden im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung häufig gestellt:
Sozialgesetzbuch (SGB VII) Gesetzliche Unfallversicherung
https://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbvii/1.html
Sozialgesetzbuch SGB I Allgemeiner Teil
https://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbi/1.html
Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz OEG)
https://www.gesetze-im-internet.de/oeg/
Sozialgesetzbuch SGB IX Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen.
Hier sind auch Teile des sozialen Entschädigungsrechts festgelegt.
https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/
Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz - BVG)
Becker, Harald; Franke, Edgar; Molkentin, Thomas (Hg.) (2018): Sozialgesetzbuch VII, gesetzliche Unfallversicherung. Lehr- und Praxiskommentar. Nomos Verlagsgesellschaft. 5. Auflage. Baden-Baden: Nomos (Nomos Kommentar).
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Knickrehm, Sabine; Dau, Dirk H. (Hg.) (2012): Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht. Handkommentar. 1. Aufl. Baden-Baden: Nomos.
Krasney, Otto Ernst (2016): Hauck / Noftz (Hrsg.), Sozialgesetzbuch (SGB) VII: Gesetzliche Unfallversicherung, Kommentar. In: Wege zur Sozialversicherung (01), S. 30.
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Rohr, Kurt; Sträßer, Horst; Dahm, Dirk (2007): Bundesversorgungsgesetz, Soziales Entschädigungsrecht und Sozialgesetzbücher. Kommentar und Gesetzessammlung. 7. Aufl. Sankt Augustin: Asgard-Verlag.
Nichtanerkennung einer partiellen PTBS, geringere Höhe der MdE bei intaktem Funktionsniveau und fehlender Inanspruchnahme von Therapie Thüringer LSG, Urteil vom 05.11.2020 - L 1 U 1121/17
Tenor: Die Beklagte (Versicherung) muss der Klägerin vorläufig eine Entschädigung nach einer MdE von 40 v.H. und später eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 30 v.H. zahlen.
Tatbestand. Im Streit stehen die Anerkennung von Gesundheitsschäden als Folgen eines bereits anerkannten Arbeitsunfalls. Auf dem Weg zur Arbeitsstätte blieb die Klägerin im Schnee stecken, stieg aus und ging um das Fahrzeug herum. Dabei wurde sie von diesem überrollt und erlitt eine Vielzahl an Frakturen und inneren Blutungen (…) Der Abschlussbericht der Behandlung schildert einen komplikationslosen Verlauf der BGSW mit gutem Reha-Ergebnis. Im Rahmen des zweiten Rentengutachtens gab die Versicherte an, im Winter Panik zu haben, wenn sie ins Auto steige. Sie fahre wesentlich eher zur Arbeit, wenn der Winter komme, träume dann nachts von dem Unfall, erlebe diesen immer wieder, habe Alpträume (…)
Unter Berücksichtigung eines psychologischen Zusatzgutachtens gelangte der medizinische Gutachter unter Annahme einer unfallbedingten PTBS zu einer MdE aus neurologischer und auch psychologischer Sicht von 55 v.H.
Diesen Feststellungen trat die Beklagte entgegen. Weder die behaupteten Unfallfolgen auf neurologischem Fachgebiet noch die behauptete PTBS auf psychiatrischem Fachgebiet könnten mit dem geforderten Vollbeweises objektiviert werden. Sodann veranlasste die Beklagte eine Begutachtung der Klägerin auf psychologischem Fachgebiet durch den Psychologen U. Dieser gelangte zu der Einschätzung, dass bei der Klägerin phasenweise eine psychische Anspannung ohne Krankheitswert vorliege. Die angegebenen Beschwerden seien jedoch nicht störungsrelevant, sodass sich insgesamt keine Diagnose nach ICD-10 bzw. DSM-IV ableiten ließe. Insbesondere liege keine PTBS vor. (…) Eine MdE-relevante Einschränkung ergebe sich nicht.
Gemäß Gerichtsurteil hat die Klägerin nach dem Teilanerkenntnis der Beklagten keinen Anspruch auf Feststellung weiterer Unfallfolgen.Denn der Senat ist nicht zur Überzeugung gelangt, dass das Schadensereignis neben den bereits anerkannten Unfallfolgen auch zu einer (partiellen) PTBS geführt hat. Eine PTBS im Sinne der ICD-10 F 43.1 liegt nicht vor. (…) Eine PTBS mit abnehmenden Symptomen (subsymptomale PTBS) ist (..)keine eigene Diagnose im Sinne eines der Diagnosesysteme. Nach den Feststellungen des F kommt ein entsprechendes Störungsbild nur bis zum Ende der stationären Behandlung in der Fachklinik L in Betracht, lässt sich danach aber nicht mehr feststellen, so dass hieraus auch keine Minderung der Erwerbsfähigkeit folgen kann. Überzeugend hat der Sachverständige F dabei auch die berufliche und soziale Anamnese berücksichtigt. Demnach beziehe die Klägerin keine Erwerbsminderungsrente und begehrt eine solche auch nicht, sie sei noch voll im Berufsleben tätig, gehe einem aktiven Leben mit Ausflügen und Urlauben sowie verschiedenen Hobbys nach. Die Einschränkungen in ihren privaten, sozialen und beruflichen Bereichen beschreibt sie als leichtgradig. (…) Die selten vorkommenden Alpträume könne sie selbst gut behandeln. Bei Schneetagen könne sie die einstige Unfallstelle umfahren. (…) Auch habe sie wieder aktiv am Straßenverkehr teilgenommen (…) Allein aufgrund der Schilderungen der Klägerin im Widerspruchsverfahren könne nicht von psychogenen Störungen ausgegangen werden, weil solche über Jahre weder ärztlich noch durch einen psychologischen Psychotherapeuten dokumentiert worden seien und erst bei der Untersuchung durch den Gutachter U Einschränkungen im Erwerbsleben im Sinne (…) eines Vermeidungsverhaltens beschrieben worden seien. (…) Sofern keine Einschränkungen mit Krankheitswert feststellbar sind, lässt sich auch eine höhere MdE nicht begründen.
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Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie
Hinweise zum Gutachtenauftrag bei psychischen Gesundheitsstörungen der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV)
Gemeinsame Empfehlung der AWMF und der DGUV mit der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e. V. und der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention e.V. bei der Entwicklung von Leitlinien und Empfehlungen zu Begutachtung von Berufskrankheiten
https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/2552
Gesellschaft für Neuropsychologie
Leitlinie für die ärztliche Begutachtung von Menschen mit chronischen Schmerzen („Leitlinie Schmerzbegutachtung“)
https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/094-003l_S2k_Schmerzbegutachtung_2018-01.pdf
Qualitätsstandards für psychologische Gutachten Diagnostik- und Testkuratorium der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen
https://www.dgps.de/fileadmin/documents/Empfehlungen/GA_Standards_DTK_10_Sep_2017_Final.pdf
Angaben zu Begriffen/ Fachbegriffen und Sprachregelungen/Definitionen, sofern sie diesen Bereich betreffen. Hier geht es zum Glossar
Anpassungsstörung, Minderung der Erwerbsfähigkeit, Kausalität, Posttraumatische Belastungsstörung, Schädigung, Schädigungsfolge, Theorie der wesentlichen Bedingung, Trauma, Traumafolgestörung, Unfall, Vorschaden
Aktivitäten
Maßgebliche und/oder aktuelle Beiträge zur psychologischen Begutachtung in diesem Bereich:
(a) Zur Untersuchungsmethodik (z.B. Durchführung von Untersuchungen zur beruflichen Leistungsfähigkeit bei körperlich schwerer Tätigkeit)
(b) Zur Urteilsbildung (z.B. Gewichtung von Validierungsergebnissen bei kognitiver Testung)
(c) Sonstiges
Dipl.-Psych. Julia Klöfer
Humboldtstr. 20 a
68169 Mannheim