Begutachtungen zu Fragen der gesetzlichen Rentenversicherung betreffen die die Voraussetzungen für die Gewährung von Rehabilitations- oder Rentenleistungen zur Sicherung der Teilhabe des Einzelnen am Erwerbsleben. Gesetzliche Grundlage der Rehabilitation von Maßnahmen ist hier wie im Schwerbehindertenrecht das Recht zur Teilhabe (SGB IX). Die rechtlichen Grundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung sind im sechsten Buch des Sozialgesetzbuchs festgelegt.
Auftraggeber für Begutachtungen der Erwerbsminderung im Rechtsbereich der gesetzlichen Rentenversicherung können Verwaltungstellen der gesetzlichen Rentenversicherungen sowie Sozialgerichte und Landessozialgerichte sein.
Psychologische Sachverständige, die zu Fragen der gesetzlichen Rentenversicherung Stellung nehmen sollen, sind derzeit v.a. in Rehabilitationskliniken tätig. Aufgrund ihrer Erfahrungen mit Patienten- bzw. Krankheitsgruppen (z.B. in orthopädischer oder psychosomatischer oder neurologischer Rehabilitation) sind sie in der Lage, medizinische Befunde zu Krankheiten und Behandlungen in die Gesamtbeurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit zu integrieren. Sie sind auch befähigt, ein Hauptgutachten zur Erwerbsminderung unter Berücksichtigung medizinischer Befunde und Nebengutachten zu erstellen.
Die Integration medizinischer Befunde und Behandlungsergebnisse in ein psychologisches Gutachten zur Erwerbsminderung erfordert keine Approbation als psychologischer Psychotherapeut. Die die Einschätzung der beruflichen Leistungsfähigkeit ist Gegenstand des Psychologiestudiums und erfordert keine psychotherapeutische Qualifikation.
Psychologische Sachverständige sollten bei Begutachtungen zu Fragen der Rehabilitationsbedürftigkeit, Rehabilitationsfähigkeit, des Rehabilitationserfolgs und der Erwerbsminderung folgende fachlichen Voraussetzungen mitbringen:
Sinnvoll können außerdem folgende Zusatzqualifikationen sein:
Die folgenden Fragestellungen, die mit Bezug auf psychologische Konzepte und unter Verwendung psychologischer Methoden beantwortet werden können, werden im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung häufig gestellt:
Sozialgesetzbuch (SGB VI) Gesetzliche Rentenversicherung
https://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbvi/1.html
Sozialgesetzbuch (SGB IX) – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen
https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/
Sozialgerichtsgesetz (SGG)
https://www.gesetze-im-internet.de/sgg/
Versicherungsvertragsgesetz
Dankelmann, Helmut; Dünn, Sylvia; Koch, Friedrich von; Kühn, Mathias; Segebrecht, Bettina; Zabre, Bernd-Rainer (2017): Sozialgesetzbuch. Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI : Kommentar. 5. Auflage. München: C.H. Beck.
Eichenhofer, Eberhard (Hg.) (2014): Kommentar zum Sozialgesetzbuch SGB VI. Unter Mitarbeit von Ulrich Wenner. Köln: Luchterhand.
Eichenhofer, Eberhard; Wenner, Ulrich (2014): Kommentar zum Sozialgesetzbuch SGB VI. Gesetzliche Rentenversicherung. Köln: Carl Heymanns Verl.
Kreikebohm, Ralf (Hg.) (2017): Sozialgesetzbuch, gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI. Kommentar. Unter Mitarbeit von Helmut Dankelmann, Sylvia Dünn, Friedrich Koch, Mathias Kühn, Bettina Segebrecht und Bernd Zabre. Verlag C.H. Beck. 5. Auflage. München: C.H. Beck.
Kreikebohm, Ralf (Hg.) (2018): Sozialgesetzbuch. Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB IV - : Kommentar. Unter Mitarbeit von Thomas Brandt, Philipp Köster, Ralf Kreikebohm, Andreas Marschner, Cornelia Schütte-Geffers und Bernd-Rainer Zabre. Verlag C.H. Beck. 3. Auflage. München: C.H. Beck.
Löschau, Martin (Hg.) (2018): Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI). Kommentar. Sankt Augustin: Asgard-Verlag.
Reinhardt, Helmut; Ehnes, Birgit (2006): Sozialgesetzbuch VI. Gesetzliche Rentenversicherung ; Lehr- und Praxiskommentar. Baden-Baden: Nomos.
Reinhardt, Helmut; Silber, Wolfgang (Hg.) (2018): Sozialgesetzbuch VI, gesetzliche Rentenversicherung. Lehr- und Praxiskommentar. Baden-Baden: Nomos.
Mangelnde Befundvalidierung und ein unbestimmtes Ausmaß an Funktionseinschränkungen als Begründung für erhaltene Erwerbsfähigkeit
SG Landshut, 04.09.2018, S 2 R 14/16; openJur 2021, 17486
Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Der Kläger beantragte zunächst Rente wegen Erwerbsminderung wegen HWS- und LWS-Syndrom und diskreten neurologischen Störungen an den Zehen des rechten Fußes, chronischer Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren; Persönlichkeitsstörung; Schlafapnoe-Syndrom, chronischer Sinusitis.
Urteil: Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme liegen bei dem Kläger zwar erhebliche Gesundheitsstörungen vor. Diese gehen jedoch nicht so weit, dass dem Kläger selbst leichte Arbeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen und mit Berücksichtigung bestimmter weiterer qualitativer Einschränkungen nicht mehr zuzumuten wären.
Begründung: Das Gericht stützt sich im Wesentlichen auf die Ausführungen der Sachverständigen Dr. C. (…) Bei der Untersuchung hätten sich keine Anhaltspunkte für motorische Ausfallerscheinungen der Extremitäten gezeigt. (…) Der Kläger ist wegen Schmerzen in schmerzmedizinischer Behandlung. Es erfolgt laut Arztbrief von Dr. G, eine Medikation mit Ibuprofen im Bedarfsfall. Die Sachverständige Dr. C. hat darauf verwiesen, dass der Kläger nicht akut schmerzgeplagt wirkte (…) Ferner hat sie berücksichtigt, dass der Kläger einen strukturierten Tagesablauf mit Arbeiten im Haushalt und im Garten sowie der Versorgung der an Demenz erkrankten Mutter geschildert hat. Ferner habe der Kläger geschildert, dass er die notwendigen Termine wahrnehme und die notwendigen Einkäufe erledige. (…) Es bestehe insoweit kein durchgreifendes gesundheitliches Hindernis des Klägers, das trotz der Schmerzen im Alltag gezeigte Restleistungsvermögen unter geeigneten Bedingungen in eine Erwerbstätigkeit umzusetzen, zumal der Kläger über eine gute berufliche Qualifikation verfügt.
Soweit der Sachverständige Dr. E. aus der bei dem Kläger vorliegenden Schmerzstörung ein auf weniger als täglich sechs Stunden reduziertes zeitliches Leistungsvermögen folgert, erschien dies nicht überzeugend. (…) Dr. E. gibt an, es komme selbst bei kurzer Zeit Sitzen, Stehen oder Gehen zu einer Schmerzverstärkung im Bewegungsapparat. Es fällt allerdings auf, dass in dem Gutachten keine Befunde zum Verhalten des Klägers bei der Untersuchung dokumentiert sind. Die Schmerzzunahme nach kurzer Zeit ist in der Beschwerdeschilderung des Klägers enthalten. Damit lässt sich jedoch keine Aussage dazu treffen, inwieweit trotz dieser Schmerzen noch ein Restleistungsvermögen besteht und diese willentlich überwindbar sind.
Dr. C. hat zudem angemerkt, dass die Einschätzung von Dr. E. zu den Einschränkungen des Klägers und zu seinen Schlafstörungen sich zum großen Teil auf Selbstbeurteilungsbögen stützen. Es handele sich nicht um objektiv vorliegende Befunde. Dies erscheint insofern wichtig, als Dr. E. sich in seinem Gutachten nicht näher damit auseinandersetzt, inwieweit die Selbstbeurteilung durch den Kläger mit objektiv fassbaren Befunden übereinstimmt oder sich widerspricht. Insoweit hat Dr. C. zutreffend moniert, dass das Gutachten von Dr. E. keine nachvollziehbare Konsistenzprüfung enthalte.
Bei einer Konsistenzprüfung wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass der Kläger eine bloße Bedarfsmedikation mit Schmerzmitteln angibt, welche offenbar bei seinen Schmerzen nicht völlig wirkungslos sind. Zudem sind in den Gutachten und Unterlagen keine Anhaltspunkte für die Wirkungslosigkeit von Schmerzmedikamenten enthalten. Auf derartige Fragen ist Dr. E. allerdings nicht eingegangen. Seine Beurteilung zu den Auswirkungen des Fibromyalgiesyndroms auf das Leistungsvermögen des Klägers erscheinen daher nicht plausibel begründet.
Auch die Ausführungen von Dr. E. zu den Auswirkungen der Schlafstörungen des Klägers scheinen nicht ganz schlüssig. Zwar ist dargelegt, dass der Kläger schmerzbedingt an Schlafstörungen leidet. (…) Bezüglich der Beschwerdeschilderung und den Angaben zum Tagesablauf standen bei der Untersuchung am 31.05.2017 Schlafstörungen oder Müdigkeit nicht im Vordergrund.
Bei Dr. E. gab der Kläger an, jede Nacht einmal aufzuwachen, nur mit Schwierigkeiten wieder einzuschlafen und nach dem Aufstehen erschöpft und nicht erholt zu sein. Er gab keine Einschlafprobleme an. Die Intensität der Müdigkeit schätzte er mit mittleren Werten ein. In beiden gutachterlichen Untersuchungen ergaben sich jedoch keine Anzeichen für eine durch Müdigkeit beeinträchtigte Konzentration oder sonstige Hinweise auf starke Tagesmüdigkeit.
Bei dieser Sachlage bedarf es einer besonderen Begründung, warum sich diese eher mäßige Müdigkeitssymptomatik auf das zeitliche Leistungsvermögen auch bei einfachen Arbeiten ohne besondere Anforderungen an die Daueraufmerksamkeit und an das Konzentrationsvermögen auswirken soll. Eine solche Begründung findet sich jedoch im Gutachten von Dr. E. nicht.
Insgesamt war nach Abschluss der Beweisaufnahme kein Nachweis für eine volle oder teilweise Erwerbsminderung zu führen. Der Kläger hat daher keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung oder Rente.
Baitsch, Günter (1995): Sozialmedizinische Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversicherung. 5., völlig neubearb. Aufl. Stuttgart u.a.: Fischer.
Bengel, Jürgen (Hg.) (2008): Diagnostische Verfahren in der Rehabilitation. Göttingen u.a.: Hogrefe.
Bengel, Jürgen; Mittag, Oskar (Hg.) (2016): Psychologie in der medizinischen Rehabilitation. Ein Lehr- und Praxishandbuch. Springer-Verlag GmbH. Berlin, Heidelberg: Springer.
Biefang, Sibylle; Potthoff, Peter; Schliehe, Ferdinand (1999): Assessmentverfahren für die Rehabilitation. Göttingen u.a.: Hogrefe.
Bund, Deutsche Rentenversicherung (2011): Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung. 7. aktual. Aufl. Berlin Heidelberg: Springer.
Cibis, Wolfgang (1998): Leitlinienentwicklung in der sozialmedizinischen Begutachtung. In: Deutsche Rentenversicherung (12), S. 878–882.
Franke Nagel Bieresborn (2017). Der Sachverständigenbeweis im Sozialrecht. Inhalt und Überprüfung medizinischer Gutachten. Baden-Baden: Nomos.
Fischer, Katja; Nebe, Angelika; Falk, Johannes (Hg.) (2012): Leitlinien für die sozialmedizinische Begutachtung. Sozialmedizinische Beurteilung bei psychischen und Verhaltensstörungen. Deutsche Rentenversicherung Bund. Stand: August 2012. Berlin: DRV (Sozialmedizin).
Franke-Diel, Iris (2020): Arbeitspsychologie. 1. Auflage 2020. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften (Basiswissen Psychologie).
Gross, Katharina (2021): Begutachtung von Arbeitsunfähigkeit und Erwerbsminderung. Psychologische Diagnostik mit dem entscheidungsorientierten Gespräch und dem Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene. München: GRIN Verlag.
Hackhausen, Winfried (2003): Sozialmedizin und ärztliche Begutachtung. Kompendium für Ärzte und Juristen. Landsberg: ecomed.
Hartje, Wolfgang (2004): Neuropsychologische Begutachtung. Göttingen, Bern, Toronto, Seattle, Oxford, Prag: Hogrefe (Fortschritte der Neuropsychologie, Bd. 3).
Haustein, Lutz (2011): Berufskundliche Aspekte in der Sozialmedizin. In: Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung. Berlin [u.a.]: Springer, S. 60–64.
Leitlinien für die sozialmedizinische Begutachtung. Beurteilung der Rehabilitationsbedürftigkeit von Menschen mit muskuloskeletalen Erkrankungen (2017). Stand: August 2017. Berlin: Deutsche Rentenversicherung (Sozialmedizin).
Meng, K., Holderied, A., Vogel, H. (2007). Rehabilitationsbedarf in der sozialmedizinischen Begutachtung - Entwicklung und Evaluation eines Entscheidungsalgorithmus. In: Die Rehabilitation 46 (01), S. 41–49.
Plohmann, Andrea Maria: Bedeutung neuropsychologischer Beschwerdenvalidierung für die Beurteilung der funktionellen Leistungsfähigkeit bzw. Arbeitsfähigkeit in der versischerungsmedizinischen Begutachtung.
Radtke, Franziska Bettina (2014): Die sozialmedizinische Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Halle (Saale), Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Diss., 2014. Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Halle, Saale.
Schneider, Wolfgang (2016): Begutachtung bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen. Autorisierte Leitlinien und Kommentare. 2., überarb. und erw. Aufl. Zürich: Hogrefe.
Steiner, Gert H. (2017): Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversicherung. In: Der Sachverständigenbeweis im Sozialrecht : Inhalt und Überprüfung medizinischer Gutachten. Baden-Baden: Nomos, S. 76–140.
Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (2011). Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung (2011). Berlin [u.a.]: Springer.
Vogel, Heiner: Empirische Untersuchungen zu den Gütekriterien sozialmedizinischer Gutachten bei der gesetzlichen Rentenversicherung. Würzburg, Univ., Habil.-Schr., 2008.
Hinweise der Deutschen Rentenversicherung für medizinische Sachverständige
Interdisziplinäre Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Störungen
Leitlinie für die ärztliche Begutachtung von Menschen mit chronischen Schmerzen („Leitlinie Schmerzbegutachtung“)
https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/094-003l_S2k_Schmerzbegutachtung_2018-01.pdf
Qualitätsstandards für psychologische Gutachten Diagnostik- und Testkuratorium der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen
https://www.dgps.de/fileadmin/documents/Empfehlungen/GA_Standards_DTK_10_Sep_2017_Final.pdf
Angaben zu Begriffen/ Fachbegriffen und Sprachregelungen/Definitionen, sofern sie diesen Bereich betreffen. Hier geht es zum Glossar
Anschlussheilbehandlung, Arbeitsmarkt, Erwerbsfähigkeit, Erwerbsminderung, Heilbehandlung, Krankheit, Leistungen zur Teilhabe, Teilhabe am Arbeitsleben, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Minderung der Erwerbsfähigkeit, Mitwirkungspflicht des Versicherten, Rehabilitationsbedarf, Rehabilitationsfähigkeit, Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, wesentliche Besserung, Wiedereingliederung,
…
Aktivitäten
(a) Zur Untersuchungsmethodik (z.B. Durchführung von Untersuchungen zur beruflichen Leistungsfähigkeit)
(b) Zur gutachterlichen Urteilsbildung
(c) Sonstiges
Dr. Ralf Dohrenbusch
Institut für Psychologie der Universität Bonn
Kaiser Karl-Ring 9
53111 Bonn
r.dohrenbusch@uni-bonn.de